Zu meinen Kindheitserinnerungen gehört folgende kleine Geschichte, die immer wieder neu mein Herz berührt, wenn ich mich darauf zurück besinne.
Es waren jene entbehrungsreichen Jahre nach einem langen Krieg. Meine Eltern waren als Flüchtlinge ins Land zurückgekommen und besaßen nur sehr wenig an materiellen Gütern. Aber dafür war ihr Herz überfließend reich gefüllt mit Liebe und Phantasie. Sie verstanden es für uns Kinder eine Welt zu erschaffen, in der wir keinen Mangel verspürten. Hatten wir äußerlich gesehen vielleicht nur wenig vorzuweisen, so waren wir innerlich doch unerschöpflich reich.
Mutter konnte einfach aus allem etwas Schönes hervorzaubern. Sie machte aus Strohgebinden und etwas bunten Stoff kleine Puppen, mit denen wir spielen konnten. Alte Konservendosen wurden blank poliert und dienten uns Kindern als Spielzeug Geschirr in unserem königlichen Abenteuer-Palast. Nie werde ich jenen besonderen Fußball vergessen können, den uns Mutter eines Tages schenkte. Er bestand aus zusammengenähten Lederfetzen und sah zugegebenermaßen eher kartoffelförmig unrund aus, aber er erfreute unsere Herzen und bescherte uns Jungs so manches wilde Spiel. Wenn dann Vater abends nach Hause kam, müde von seiner schweren Arbeit, ließ er es sich nicht nehmen, uns Kinder ins Bett zu bringen. Vorher gab es stets eine wunderbare selbst-erfundene Geschichte. Mal voller Abenteuer und Sehnsucht nach der weiten Welt. Mal eine herzzerreißende Erzählung über Geschwister, die in höchster Not treu für einander einstehen. Und so manches Mal gab es einfach die lebendige Nacherzählung eine Begebenheit aus der Bibel.
Wie gesagt, das waren damals keine leichten Jahre, aber in meiner Erinnerung Jahre von innerer Glückseligkeit und Geborgenheit.
Besonders liebten wir Kinder die Festtage: Geburtstag, Weihnachten, Ostern und Ernte-Dank. Da wurde die Wohnung festlich geschmückt. Wir lebten Tage und Wochen auf das große Ereignis hin. Aufgeregte Vorfreude und spannungsvolle Erwartung lagen in der Luft. Unsere Eltern lehrten uns, dass frohes Erwarten bereits zum Festgenuss dazu zählt. Es lohnt sich, zu warten. Ungeduld und ungebührliche Neugierde können sogar das Fest verderben.
So erging es uns leider in dem einen Jahr vor dem Weihnachtsfest, als wir Kinder es einfach nicht mehr aushielten. Die Eltern waren nur kurz außer Haus, um etwas bei den Nachbarn zu erledigen, die dringend ihre Mithilfe brauchten. Kaum waren sie aus der Haustür, da begann die Neugier wie ein innerlich verzehrendes Feuer an uns zu nagen und zu fressen. Wir wussten, dass Mutter und Vater die Weihnachtsgeschenke im großen Kleiderschrank in ihrem Schlafzimmer versteckten. Was würden wir wohl dieses Jahr am Heiligabend bekommen? Zunächst öffneten wir nur die Tür zum Schrank; dann nach Minuten des inneren Kampfes schauten wir hinein und fingen an in Bergen von Kleidern herum zu wühlen.
Als wir dann die ersten, in buntes Papier eingepackten, Geschenke fanden, gab es kein Zurück mehr. Gierig rissen wir die Verpackung auf und schauten mit großen Augen hinein. Anfangs waren die Begeisterung und Freude noch riesig, bis wir langsam begriffen, dass nun die Überraschung dahin ist und wir am Heiligabend alle Geschenke bereits wissen würden. Der herrliche Glanz, der Weihnachten sonst erfüllte, war auf einmal verblasst und verpuffte wie Nebel am Morgen. Als die Eltern dann heimkamen, ließ sich unser Fehlverhalten nicht verbergen. Uih, das gab Ärger, sag ich euch. Mutter weinte sogar bitterlich vor Enttäuschung und Vater schimpfte hilflos vor lauter Zorn. Doch nach einiger Zeit beruhigten sich wieder die Gemüter und es wurde hernach doch noch ein ganz schönes Weihnachtsfest, an dem wir Kinder umso besser das Geheimnis unverdienter Gnade kennen und verstehen lernten.
Im Jahr darauf zur Weihnachtszeit versteckten unsere Eltern die Weihnachtsgaben an neuen geheimen Orten, was es für uns Kinder fast unmöglich machte, hinterher zu spionieren. Und ehrlich gesagt, hatte auch keiner von uns das Verlangen, nochmals den Glanz von Heiligabend zu ruinieren.
Dann war Weihnachten vorbei, mit Festglanz und Bescherung. Der Frühling kam und bald wurde es wieder Osterzeit. Es war genau am Ostermorgen. Wir Kinder hatten nach ein paar Schokoladenostereiern und anderen Süßigkeiten gesucht, die die Eltern für uns im Haus an geheimen Orten versteckt hatten. Da fiel jenes vergessene Weihnachtsgeschenk meinem Bruder bei seiner Eiersuche in die Hände. Er fand es hinter dem Sofa in der Diele. Lauthals jubelnd rannten wir damit zu den Eltern und zeigten unsere unerwartete Beute.
Nie mehr in meinem Leben würde ich die Botschaft je vergessen können, die jetzt mein Vater uns Kindern als geistliches Vermächtnis mit auf den Weg gab. Erstaunt und freudig zugleich, nahm er das vergessene Weihnachtsgeschenk in die Hand und begann: „Da ist es ja endlich, das vergessene Weihnachtsgeschenk. Es kommt genau passend und will euch Kindern und uns Großen etwas lehren. Gott, unser himmlischer Vater, hat allen Menschen auf der Welt zu Weihnachten das größte Geschenk gemacht. Er sandte uns Seinen geliebten Sohn Jesus Christus. Geschenke müssen empfangen und ausgepackt werden. Aber vielen, sehr vielen Menschen geht es so mit Jesus, unserem Geschenk des Himmels, wie mit diesem Geschenk hier. Es liegt vergessen, unberührt und unausgepackt in einem Winkel. Bis es gefunden wird. Bis das helle Licht vom Ostermorgen, vom Tag der Auferstehung unseres Herrn, jeden dunklen Winkel in den Herzen der Menschenkinder ausleuchtet. Wer sein Herz diesem Licht öffnet, der wird es sehen können. Und dann kann es sogar die Weihnachtsfreude am Ostermorgen geben! Aber wie gesagt, Geschenke wollen empfangen und geöffnet werden!“
Mit diesen Worten riss Vater das Papier auf und zum Vorschein kam ein herrlich kuschliger Teddybär, der noch für sehr viele Jahre ein treuer Freund unserer Familie sein würde und bis heute noch durch die Hände weiterer Generationen von Kindern der Kinder gereicht wird.
Ja, nie mehr werde ich jene kleine Geschichte von damals vergessen können.
Oftmals frage ich mich, wieviel ungeöffnete Geschenke des Himmels wohl noch in meinem Leben irgendwo herumliegen. Dann bitte ich jedes Mal neu, dass Jesus mir das helle Licht vom Ostermorgen senden möge.

Schalom
Matthias Hoffmann