Dies ist die Geschichte von der großen Suche.
Sie erzählt von einer Zeit, lange vor unserer – als diese Welt noch jung war.
Eines Tages befiel die Menschheit eine böse Krankheit.
Niemand hatte sie kommen sehen. Sie schlich sich geradezu unsichtbar durch die Hintertür bei Dunkelheit herein. Schon bald gab es mehr oder weniger in fast jedem Stamm, jeder Sippe und jeder Familie jemanden, der daran erkrankt war. Wen diese Seuche packte, dem verschlug es kurz darauf den Atem. Die Krankheit schnürte die Kehlen zu, machte Lungen und Herzen schwer wie Blei; ja, sie raubte alle Lebenskraft.
Als die ersten Menschen daran verstarben, begann die große Suche.
Könige und Mächtige der Völker kamen zusammen und berieten lange mit einander. Schließlich kamen sie überein, dass sie alle ihre Weisen und Gelehrten, Druiden und Alchemisten zusammenrufen würden, um ihnen den Auftrag zu erteilen, ein Heilmittel gegen diese schreckliche Pein zu finden.

Gesagt, getan…und so begann die große Suche.
Überall – von den hohen schneebedeckten Bergen bis zu den dunklen Tälern, vom endlos weiten Meer bis zu den undurchdringlichen Wäldern – überall suchten und suchten die Forscher und Weisen nach einem Allheilmittel, nach Ausweg und Rettung für die geplagte Menschheit. Aber so sehr sich auch die klügsten Köpfe abmühten, sie fanden keine wirksame Medizin, die diese verheerende Plage zu heilen vermochte.
So traurig und hoffnungslos wäre es fast geblieben, wenn nicht jener einfache Hirtenbursche damals vorbeigekommen wäre.
Zuerst wollte man ihn gar nicht durchlassen. Wer war denn er?! Wer sollte schon auf einen Hirten hören, wenn es um die Rettung der Welt geht?! Was weiß der denn von Heilkräften und Naturgesetzen?
Aber da selbst den bedeutendsten Gelehrten keine Antwort mehr einfiel, war man schließlich geneigt dem Jüngling zuzuhören.
Der Hirte sagte:
„Meine sehr verehrten und mächtige Herren…danke, dass Ihr bereit seid den Worten eines einfachen Hirten Gehör zu schenken. Hier in dieser Flasche habe ich die passende Medizin um jene hässliche Seuche zu beenden, die die Menschheit befallen hat und so bitterlich quält!“
Ein ungläubiges Raunen ging durch die Menge der hilflosen Weisen und ohnmächtigen Mächtigen. Sie wollten allzu gerne wissen, woher der Hirte denn sein Wissen habe und ob alles mit rechten Dingen zuginge.
„O ja; meine Herren! Ich habe hier die Medizin, die all meine Schafe gesund gemacht hat – egal welche Krankheit und Seuche meine Herde befiel. Nun habe ich die feste Zuversicht gewonnen, dass dieses Elixier auch alle Menschen von jener bösen Krankheit zu heilen vermag!“
Fast wäre die ganze Versammlung in einem Tumult und Wirrwarr an Meinungen und Empörungen untergegangen. Aber, weil niemand sonst eine andere Lösung gefunden hatte, war man schlussendlich doch bereit, zwar mehr widerwillig als überzeugt, jene Medizin eines Schaf-Hirten an einigen schwer Erkrankten auszuprobieren.
Und was soll ich sagen?!
Schon kurze Zeit später wurde es so viel besser mit diesen Leuten – bis sie sogar wieder ganz gesundeten. Die gute Nachricht sprach sich schnell herum und alle wollten nun die Medizin des Hirten haben.
Die Weisen fragten neugierig:
„Erzähle uns, guter Mann, was ist das Geheimnis der Rezeptur deines Wundertrankes?!“
Der Hirte antwortete:
„Da habt ihr recht gesprochen. Es ist wahrlich ein Wundertrank – aber anders, als ihr vielleicht denken mögt. In meiner Flasche ist nur reines Wasser. Wasser, wie ihr es aus jedem Brunnen oder Fluss schöpfen könnt.“
Die Gelehrten und Mächtigen erschraken und blickten hilflos drein.
„Aber wie konnten dann die Kranken gesunden?“ fragten sie sich untereinander.
Der Hirte erhob seine Stimme laut über alles fragende Gemurmel:
„Nicht das Wasser brachte das Wunder der Heilung. Ich habe gelernt dem großen Hirten, dem Schöpfer der Welt, zu vertrauen. ER, der Unsichtbare, ist der Mächtigste; ER ist der wahre Heiler und der alleinige Wundertäter. Aber, so wie kein Mensch ohne Wasser zu leben vermag, so können auch wir nicht ohne IHN leben. ER allein ist unsere Hoffnung und Medizin.“
Als das, die Menschen hörten, berührte es tief ihre Herzen. Sie schenkten den schlichten Worten des Burschen ihr Vertrauen – oder besser gesagt: sie vertrauten ebenfalls jenem unsichtbaren mächtigen großen Hirten, der hinter ihm stand und von dem alles Leben kommt.
So endete damals die große Suche.
Die Leute vertrieben jene böse Krankheitsmacht durch ihr Vertrauen in den guten, unsichtbaren Hirten der Menschheit.
Man kam überein: So sollte es auch für alle Zeiten fortan bleiben!
Viele Jahre sind seitdem vergangen. Unzählige Plagen und Nöte haben die Menschheit seither heimgesucht. Leider haben wir Menschen den großen Hirten wieder aus unseren Augen und aus unserem Herzen verloren.
Deshalb begeben wir uns jedes Mal neu: auf die große Suche.
Wird uns wohl auch diesmal ein Hirte den Ausweg zeigen?!

Matthias Hoffmann
Oktober 2020